Wir leben alle im Schatten der Angst
Riemanns Modell zeigt, wie unsere Persönlichkeit durch Grundängste geprägt wird – in fünf Mustern, die wir in uns selbst, in unseren Führungspersönlichkeiten und in der Welt erkennen.
Die Grundformen der Angst: Wie unsere Persönlichkeit durch tiefe menschliche Konflikte geformt wird
Fritz Riemanns psychologisches Modell, das er in seinem Buch Grundformen der Angst vorstellte, ist bis heute einflussreich – nicht, weil es sich auf Störungen konzentriert, sondern weil es in den grundlegenden existenziellen Konflikten jedes Menschen wurzelt. Laut Riemann leben wir alle im Spannungsfeld von vier Grundängsten: der Angst vor Nähe, der Angst vor Distanz, der Angst vor Veränderung und der Angst vor Beständigkeit. Diese Ängste sind keine Schwächen. Sie sind universelle Kräfte, die unser Verhältnis zu anderen, zu uns selbst und zur Welt prägen.
Generiert durch KI (Unterstützt durch DALL-E3)
Riemanns Modell lässt sich auf zwei Achsen abbilden: Nähe versus Distanz und Veränderung versus Stabilität. An den Schnittpunkten dieser Achsen entstehen unterschiedliche Persönlichkeitsmuster – mit je eigenen Stärken und Risiken. Aus diesen Spannungen lassen sich fünf häufige Persönlichkeitstypen ableiten.
Der dominante Typ – Angst vor Nähe
Diese Persönlichkeit entsteht aus der Angst, Autonomie zu verlieren. Dominante Menschen sind durchsetzungsstark, unabhängig und oft vom Bedürfnis nach Kontrolle getrieben. Sie streben nach Führungsrollen, treffen Entscheidungen lieber allein und fühlen sich mit emotionaler Abhängigkeit unwohl. Ihre Stärke liegt in ihrer Entschlossenheit und Führungsstärke – besonders in Krisensituationen. Doch sie tun sich oft schwer damit, Schwäche zu zeigen oder Hilfe anzunehmen.
Beispiel: Donald Trump
Sein Kommunikationsstil, seine Verhandlungstaktik und seine öffentliche Haltung spiegeln dieses dominante Muster wider. Trump inszeniert Stärke, vermeidet emotionale Offenheit und wahrt Kontrolle – selbst dort, wo Kooperation hilfreicher wäre
Der emotionale Typ – Angst vor Distanz
Diese Persönlichkeit basiert auf dem Wunsch nach Verbindung und der Angst vor Isolation. Emotionale Typen leben von Empathie, Gemeinschaft und gegenseitigem Verständnis. Sie sind feinfühlig, bauen Vertrauen auf und streben nach Harmonie. Zwar laufen sie Gefahr, sich selbst in Beziehungen zu verlieren oder sich zu stark über andere zu definieren, doch sie bringen eine unverzichtbare menschliche Dimension in jede Führungsrolle.
Beispiel: Jacinda Ardern
Die ehemalige Premierministerin Neuseelands führte mit Mitgefühl und emotionaler Klarheit. Ob im Umgang mit Terroranschlägen oder in der Pandemie – Ardern betonte Empathie, Fürsorge und Gemeinschaft.
Der bewahrende Typ – Angst vor Veränderung
Auch „konservativer“ oder „stabilisierender“ Typ genannt, fürchtet diese Persönlichkeit das Chaos und schätzt Ordnung. Solche Menschen sind zuverlässig, strukturiert und sehr loyal. Sie bevorzugen bewährte Systeme und stehen schnellen oder unvorhersehbaren Veränderungen skeptisch gegenüber. Ihre Stärke liegt in ihrer Beständigkeit: Sie halten durch, wenn andere aus der Bahn geraten – können aber auch unflexibel oder innovationsfeindlich wirken.
Beispiel: Xi Jinping
Der chinesische Staatschef verkörpert diesen Typ durch seinen methodischen Machtaufbau, seinen Fokus auf Kontinuität und seine Zurückhaltung gegenüber politischen Umbrüchen. Seine Führung stellt langfristige Kontrolle über experimentelles Handeln.
Der rebellische Typ – Angst vor Festlegung
Dieser Typ fürchtet es, festgelegt oder eingeengt zu werden. Rebellische Persönlichkeiten brauchen Bewegung, hinterfragen Autoritäten und lieben das Neue. Sie brechen Regeln, setzen Impulse und bringen frischen Wind – sind aber oft ungeduldig, chaotisch oder unzuverlässig in der Umsetzung.
Beispiel: Ronald Reagan
Einst Schauspieler, später Präsident – Reagan brachte Erzählkunst, Visionen und Charisma in die Politik. Er war weniger ein Verwalter als ein Inspirator, der mit Mission und Stil statt mit System und Struktur führte.
Der logische Typ – Ausgewogene Angstvermeidung
Im Gegensatz zu den anderen Typen ist dieser nicht durch eine dominante Angst geprägt, sondern durch eine balancierte Grundhaltung, die auf Rationalität und Distanz setzt. Logische Typen sind sachlich, analytisch und kontrollieren emotionale Impulse bewusst. Sie treffen Entscheidungen nüchtern und datenbasiert. Ihre Stärke liegt in der Klarheit und der Fähigkeit, in komplexen Situationen Ruhe zu bewahren – ihre Schwäche kann emotionale Kälte sein.
Beispiel: Angela Merkel
Die langjährige Bundeskanzlerin führte mit wissenschaftlicher Präzision und pragmatischer Gelassenheit. Als Physikerin in der Politik war ihr Stil geprägt von Ruhe, Faktenorientierung und einem klaren Blick – nicht von Lautstärke oder Emotion.
Natürlich ist niemand ein reiner Typ. In jedem von uns wirken mehrere dieser Muster – je nach Situation, Prägung und Lebenserfahrung. Doch das Verständnis dieser Tendenzen – besonders in uns selbst und bei anderen – kann helfen, Verhalten besser einzuordnen. Riemanns Modell urteilt nicht, es lädt zum Verstehen ein. Es zeigt: Angst muss nicht überwunden werden – sondern verstanden. Und wer sie versteht, kann aus ihr Kraft ziehen.