Sixt bestellt 100.000 E-Autos bei BYD: Hat Deutschland Anschluss verloren?
Die Geschichte des Elektroautos ist ein Lehrstück für die deutsche Wirtschaft
Veröffentlicht am 12. Oktober 2022 auf Finanzmarktwelt.de
Der größte deutsche Autovermieter Sixt gab dieser Tage bekannt, dass er 100.000 E-Autos beim chinesischen Autobauer Build Your Dream (BYD) bestellt hat. Diese sollen in den nächsten sechs Jahren sukzessive in Europa in die Autoflotte eingepflegt werden. Haben also die deutschen Automobilbauer den Trend zum E-Auto verschlafen?
Der Autovermieter Sixt SE mit ca. 6.400 Mitarbeitern hat sich dazu entschieden 100.000 elektrische Automobile bei dem chinesischen Autobauer „Build Your Dream“, abgekürzt BYD zu bestellen. In den nächsten sechs Jahren sollen diese sukzessive in die europäischen Flotten integriert werden. Dies wirft die Frage auf, warum sich Sixt für einen solchen, doch unkonventionellen Schritt entscheidet. Gerade da dessen Kundenklientel lokale Marken, darunter zumeist deutsche Prämiumhersteller, gewohnt ist. Gleich einem Damoklesschwert schwebt diese Meldung nun über den deutschen Autobauern: haben wir etwa den Trend zum eAuto verschlafen?
BYD: Sixt erkennt die Zeichen der Zeit
Dabei erkennt Sixt die Zeichen der Zeit: Elektrische Mobilität ist nicht länger ein Nischenmarkt, sondern in der Breite angekommen und gewinnt zunehmend an Fahrt. Mittlerweile hat der Anteil der rein elektrischen Autos, sogenannte Battery Electric Vehicle (BEV) mit einem Marktanteil von 19,7% im September 2022 erreicht. In Folgender Grafik zeigt sich, dass der Anteil der Neuzulassungen bereits zu einem Viertel aus elektrischen Antriebsarten besteht. Dies schließt die BEV, als auch Hybrid-Fahrzeuge (PHEV) ein:
In Norwegen werden mittlerweile 75% aller Neuwagen als BEV zugelassen. Bisher sind bei Sixt 10% der 250.000 Autos im Bestand elektrisch. Dabei handelt es sich größtenteils um Automobile der Marke Tesla (zumeist die Variante Model 3 und Y). Sixt vermietet nach eigenen Angaben nur Autos in Deutschland, die nicht älter als 6 Monate sind. Bei 100.000 Autos, die in den nächsten 7 Jahren angeschafft werden sollen, wird BYD also letztlich unter einem Prozent der gesamten Leih-Flotte stellen. Sixt investiert aber nicht nur in eigene elektrische Autos, sondern auch in eine eigene Ladeinfrastruktur.
Dass das Vermieten von E-Autos lukrativ sein kann, macht das Leipziger Unternehmen Nextmove seit 2016 vor. An mittlerweile elf Stationen in Deutschland werden mittlerweile 400 reine E-Autos an Kunden verliehen. Allerdings versteht der Gründer von Nextmove, Stefan Moeller, sein Geschäft eher als Missionsarbeit in Sachen Elektromobilität. Neben der Vermietung betreibt Nextmove noch den größten deutschsprachigen YouTube-Kanal, der Nachrichten und Tests rund um E-Mobility bereithält.
Volkswagen versus BYD
Der BYD Ato 3 ist rein formal mit dem ID.3 von Volkswagen vergleichbar. Beide sind ähnlich groß, kosten etwas unter €40.000 und ihre jeweilige Reichweite beträgt nach WLP 420 km. Auch die Batteriekapazität mit etwa 60 kW/h ist gleich. Der BYD lädt zudem etwas schneller als der VW.
Im Innenraum besticht der ID.3 aber mit einer wunderschönen Hardplastiklandschaft, die man eher in einem Dacia als in einem Volkswagen der Golf-Klasse vermuten würde. Hier ist der Atta 3 wesentlich komfortabler und hochwertiger ausgestattet als der Konkurrent aus Wolfsburg.
Hat Deutschland die Elektromobilität verschlafen?
Haben also deutsche Automobilhersteller den Trend der Elektromobilität verschlafen? Sixt selbst verweist in seiner Pressemitteilung darauf, dass BYD der weltweit größte Hersteller im Bereich E-Mobilität sei.
Die Antwort ist nichtsdestotrotz ein nebeliges „Jein“. Als Tesla vor über zehn Jahren damit begonnen hat, elektrische Autos und dazu eine Ladeinfrastruktur aufzubauen, wurde dies in Deutschland belächelt. Im September 2022 steht das Model Y mit 9.846 Einheiten auf Platz 1 der Verkaufszahlen, noch vor dem Golf mit 7.095, wohlgemerkt einem Auto mit klassischem Verbrenner. Das Modell 3 findet sich auf dem 9.Platz. Die nächsten vollelektrischen Fahrzeuge sind der ID.3 und 4, die beim KBA zusammen erfasst werden. Nicht nur, dass die Modelle von Tesla als zwei unterschiedliche Fahrzeuge erfasst werden (im Gegensatz zu den deutschen Fahrzeugen), so stehen ID.3 und 4 zusammen gearde einmal auf Platz 22. Die deutschen Automobilhersteller mögen den Start verschlafen haben, sie haben aber dennoch mächtig aufgeholt. Tesla hat in Deutschland einen Marktanteil von 2,1%. Vom KBA werden derzeit nur zwei chinesische Marken erfasst, die Marken MG und Lynck&Co. Bei letzterem handelt es sich jedoch um eine Marke, die ausschließlich Hybrid-Fahrzeuge anbietet.
Bei den BEV führte im August Tesla vor dem ID.3/4. Die Modelle von MG rangieren in Deutschland unter am Ende der Statistik.
BYD ist in Deutschland noch nicht aktiv. In Norwegen, wo schon viele chinesische Automobilhersteller zu finden sind, verkaufte BYD im Jahr 2022 2.477 Automobile der Modelle „Tang“, was einem Marktanteil von 0,4% entspricht (Platz 18 in der Zulassungsstatistik). Auch hier führen Tesla mit dem Model Y (17.934 Anmeldungen und 3,0% Marktanteil) und VW ID.4 (16.559 / 2,77%). In China hingegen entsprechen die ID-Modelle von VW nicht den Kundenwünschen. Dies bezieht sich nicht nur auf die Ausstattung, sondern VW hatte zur Markteinführung mit massiven Softwareproblemen zu kämpfen. Diese haben die Kunden nicht vergessen und bevorzugen seitdem Marken aus anderen Regionen der Welt.
China – der größte Automarkt der Welt
Der chinesische Automarkt ist der größte der Welt, fast doppelt so groß, wie der europäische und fast genauso groß, wie der amerikanische und europäische Markt zusammen. BYDs Stärke resultiert also einzig daraus, dass sie auf dem chinesischen Markt am erfolgreichsten sind. In den USA ist elektrisches Fahren dagegen noch eine Nische.
Deutsche Marken: Innovationsstark
Das Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch-Gladbach versucht die Innovationstärke von Automobilherstellern zu ermitteln. Für den Bereich Elektromobilität hat das CAM eine Matrix von über 500 Innovationen vornehmlich aus den Bereichen Ladeleistung, Verbrauch und Reichweite erstellt. Unter den ersten zehn Plätzen finden sich vier deutsche Marken, drei davon aus dem Volkswagen-Konzern.
Interessant ist, wie hier verschiedene Konzepte der führenden Hersteller konkurrieren: Tesla als das innovativste Autounternehmen, hat das Auto völlig neu gedacht. Herausgekommen ist – überspitzt formuliert – ein Handy mit vier Rädern. BYD, auf Rang 2, war ursprünglich ein Batterie-Hersteller. Entsprechend sind sie führend im Bereich Batterietechnik – und Modelle der Marke BYD daher eher eine fahrende Batterie. Das gerade am deutschen Markt gestartete Start-up Nio denkt aus der Sicht des Anwenders: Das Auto wird zum Kunden geliefert bzw. bei einer Reparatur abgeholt. Die Batterie kann innerhalb von fünf Minuten gewechselt werden. Die deutschen Automobilhersteller haben sich darauf konzentriert, das bisherige Auto mit den Vorteilen des elektrischen Antriebes zu versehen.
Volatiler Markt
Dabei ist der Markt für E-Autos höchst volatil. Fast jeden Monat kommen neue Autos auf den Markt und mit ihnen neue Entwicklungen. Die Batterien werden kompakter und verschiedene Zellen stehen zur Verfügung. Die Ladeleistung erhöht sich, ebenso die Reichweite. Mit einem Mercedes EQS ist es mittlerweile möglich, ohne Nachladung die Strecke München-Berlin zurückzulegen.
Eine Lehre für die deutsche Wirtschaft
Die bisherige Geschichte des E-Autos ist ein Lehrstück für die deutsche Wirtschaft. In den letzten Wochen wurde immer wieder über die befürchtete „Deindustrialisierung“ gesprochen. Dabei zeigt sich, dass wir eigentlich eine „De-Innovation“ haben: Deutsche Unternehmen halten zu lange an veralteten Techniken fest und verschlafen neue Entwicklungen. Wir benutzen Google, Telegram oder schreiben auf Handys und Computern von chinesischen, koreanischen und amerikanischen Konzernen.
Dabei zeigt das Beispiel des E-Autos auch: Die deutsche Wirtschaft kann – wenn sie will oder muss – neue Entwicklungen adaptieren. Im Sinne Ludwig Erhards ist der Ansatz Schumpeters eine Überlegung wert, um die Innovationskraft der deutschen Industrie neu zu wecken: Es müssen nicht immer alle bestehenden Systeme unter allen Umständen bewahrt werden, man muss die Zerstörung veralteter Strukturen zulassen, damit etwas Neues entstehen kann.