China gegen USA: Peking kämpft um die Deutungshoheit
Peking präsentiert sich als Hüter globaler Regeln und attackiert Washington mit einem strategisch inszenierten Weißbuch. Der Ton ist diplomatisch, doch die Botschaft ist klar.
Im Ringen um die Deutungshoheit im globalen Handel setzt Peking auf Worte statt Waffen. Am Mittwochabend veröffentlichte der Staatsrat der Volksrepublik China ein umfangreiches Weißbuch unter dem Titel „Einige Fragen in Bezug auf die wirtschaftlichen und handelspolitischen Beziehungen zwischen China und den Vereinigten Staaten“. Dabei handelt es sich um weit mehr als einen technischen Bericht oder bloße Propaganda. Das Dokument ist ein strategisches Kommunikationsinstrument, dessen Hauptfunktion nicht in der Präsentation von Fakten liegt. Denn viele der darin enthaltenen Behauptungen lassen sich leicht entkräften.
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Wie China Überkapazitäten als Marktdynamik darstellt
So etwa Chinas Behauptung, Überkapazitäten seien nicht objektiv messbar, sondern vielmehr ein Ausdruck allgemeiner Marktdynamiken, in der "Ungleichgewichte allgegenwärtig und dynamisch" seien. Natürlich lassen sich Überkapazitäten objektiv messen – nämlich dann, wenn das Angebot den Bedarf bei Weitem übersteigt. Die chinesische Automobilindustrie ist dafür ein ideales Beispiel: Ihre Produktionskapazitäten übersteigen den heimischen Bedarf um etwa das Doppelte. Entsprechend muss rund die Hälfte der Produktion auf internationalen Märkten abgesetzt werden. Nur besteht dort keine überhöhte Nachfrage. In Bremerhaven etwa stehen chinesische Autos monatelang auf Halde, bis sie verschimmeln und in Folge dessen verschrottet werden müssen.
Ganz anders verhält es sich mit der deutschen Automobilindustrie, die weitgehend nach einer bedarfsorientierten Angebotslogik verfährt: Produziert wird nicht, um Kapazitäten auszulasten, sondern um eine konkrete Nachfrage zu bedienen. Das Weißbuch versucht somit weniger, eine Analyse anzubieten, als vielmehr einen umfassenden politischen Rahmen zu setzen, in dem China als stabiler, regelbasierter und verantwortungsvoller Global Player erscheint – im klaren Kontrast zu den USA, die als erratisch, protektionistisch und hegemonial charakterisiert werden.
Diese kommunikative Architektur richtet sich an verschiedene Adressaten: die internationale Gemeinschaft, ausgewählte Drittstaaten, die eigene Bevölkerung sowie Wirtschaftsakteure weltweit. Dabei entfaltet das Papier eine vielschichtige narrative Strategie, die von Legitimation über Re-Framing bis zur gezielten Anklage reicht.
WTO, Regeln, Normen: Chinas multilaterale Inszenierung
Der zentrale Adressat des Dokuments ist die internationale Öffentlichkeit – insbesondere multilaterale Institutionen wie die WTO, aufstrebende Volkswirtschaften und die globalen Märkte. Das Papier zielt darauf ab, das bisherige Narrativ der USA und ihrer Partner umzudrehen: Nicht China sei der Störenfried der Weltwirtschaftsordnung, sondern die Vereinigten Staaten.
Bereits im Vorwort wird diese Gegenüberstellung etabliert: Während China sich als "größter Beitragender zum globalen Wachstum" darstellt, wird den USA vorgeworfen, durch "einseitigen Protektionismus" die Stabilität der Weltwirtschaft zu gefährden. Das gesamte Dokument ist durchzogen von Verweisen auf multilaterale Normen, WTO-Regeln, internationale Abkommen und Prinzipien der Gleichbehandlung – stets mit dem Ziel, China als Verteidiger einer regelbasierten Ordnung zu inszenieren.
So heißt es etwa: "China verteidigt das Prinzip des Freihandels und hält sich strikt an die Regeln der WTO." Und weiter: "Der Unilateralismus und der Protektionismus der Vereinigten Staaten verletzen den multilateralen Konsens und schaden dem globalen Handel." Diese Formulierungen zielen auf ein internationales Publikum, das angesichts zunehmender bilateraler Spannungen und wirtschaftlicher Fragmentierung verunsichert ist. Das Weißbuch bietet hier eine vermeintlich rationale Großmachtalternative an – regelgeleitet, offen, berechenbar.
TikTok, Handel, Agrar: Vorwürfe gegen Washington
Das Weißbuch folgt durchgängig dem rhetorischen Muster: "China tut A – die USA verletzen A." Es geht also nicht nur um Selbstbeschreibung, sondern um eine systematische Kontrastierung mit der US-Politik. Besonders deutlich wird das im Abschnitt III ("Die US-Seite hat ihre Verpflichtungen nicht erfüllt"), wo detailliert aufgeführt wird, wie die USA angeblich den Phase-One-Vertrag von 2020 verletzt haben.
Ein Beispiel: Während China laut eigenen Angaben trotz schwieriger Bedingungen wie der COVID-19-Pandemie US-Agrarprodukte importierte ("China hielt sich an das Abkommen und erhöhte seine Käufe von Agrarprodukten trotz Schwierigkeiten"), hätten die USA Chinas Vogelgrippe-freie Zonen nicht anerkannt – ein Verstoß gegen multilaterale Praxis gemäß der Weltorganisation für Tiergesundheit.
Auch im Bereich Technologie wird der Vorwurf der Doppelmoral erhoben: Während China laut Gesetz "erzwungene Technologietransfers" verbietet, wird die US-Politik gegenüber Unternehmen wie TikTok als willkürlich und protektionistisch dargestellt. Der Vorwurf: Die USA verletzen ihre eigenen Prinzipien der Marktwirtschaft im Namen der nationalen Sicherheit.
Diese Strategie, einen moralischen Spiegel vorzuhalten, ist ein typisches Muster der chinesischen Außenkommunikatio und zielt darauf ab, die Deutungshoheit über Begriffe wie "Marktwirtschaft", "Rechtsstaatlichkeit" und "multilaterale Ordnung" zu reklamieren – besonders gegenüber Ländern des Globalen Südens, die eine Alternative zur US-geführten Ordnung suchen.
Wirtschaftliche Verflechtung als strategische Waffe
Ein weiterer zentraler Bestandteil des Weißbuchs ist die wirtschaftspolitische Argumentation. Abschnitt I zeigt, wie komplementär und vorteilhaft die Handelsbeziehungen zwischen China und den USA angeblich seien – ein "Win-Win"-Narrativ, das sowohl westliche Unternehmen als auch die US-Bevölkerung adressiert.
Beispielhaft ist die tabellarische Darstellung der wichtigsten Handelsgüter (Kapitel 85: Elektromaschinen, Kapitel 27: Mineralöle, Kapitel 12: Ölfrüchte etc.). Dabei wird betont: "Die US-Exporte nach China sind seit 2001 um 648,4 Prozent gestiegen, deutlich mehr als der Gesamtexportzuwachs von 183,1 Prozent." Oder: "China ist Ziel für 51,7 Prozent der amerikanischen Exporte von Sojabohnen und 29,7 Prozent der Ausfuhren von Baumwolle."
Diese Zahlen sind weniger als wirtschaftliche Analyse gemeint denn als politisches Signal an US-Landwirte, Unternehmer und Abgeordnete: China ist kein Gegner, sondern ein Markt. Der Subtext lautet: "Wenn ihr euch entkoppelt, verliert ihr."
Auch das Argument, dass der US-Überschuss im Dienstleistungssektor – etwa in Bildung, Tourismus und Lizenzeinnahmen – durch China getragen wird, dient der Entkräftung des Vorwurfs eines unfairen Handels: China relativiert das strukturelle US-Güterdefizit mit alternativen Indikatoren.
Starke Marken, starke Botschaft für das Inland
Auch innenpolitisch dient das Weißbuch einer klaren Funktion: der Selbstlegitimation. Die chinesische Regierung präsentiert sich als vertragstreu, reformbereit und konstruktiv – im Gegensatz zu einem irrationalen Westen. Diese Darstellung zielt auf die eigene Bevölkerung, insbesondere die wirtschaftsnahe Mittelschicht und reformorientierte Eliten.
Die detaillierte Aufzählung der 675.000 durchgeführten Verfahren zum Schutz geistigen Eigentums oder der Patentreformen richtet sich nicht an das Ausland, sondern an ein inländisches Publikum mit konkreten Erwartungen an die Rechtsstaatlichkeit. Ebenso der Verweis auf die Marktöffnung für Unternehmen wie Goldman Sachs, BlackRock oder American Express: Das innenpolitische Signal lautet hier, China ist offen – aber zu seinen Bedingungen.
Auch die Betonung der Agrarimporte aus den USA dient dieser doppelten Botschaft: außenpolitische Vertragstreue und innenpolitische Kontrolle über strategische Sektoren.
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Weißbuch bereitet Eskalationen strategisch vor
Ein besonders aufschlussreicher Aspekt ist die Art und Weise, wie sich China im Weißbuch für künftige Eskalationen rüstet. Dabei geht es nicht um konkrete Maßnahmen, sondern um die Schaffung eines narrativen Rahmens, in dem China bereits im Vorfeld seine "Unschuld" beteuert. So heißt es zur Debatte um den Entzug des Handelsstatus (PNTR): "Die Aufhebung des Meistbegünstigungsstatus für China untergräbt das WTO-Prinzip und destabilisiert die globale Wirtschaftsordnung."
Damit wird ein Eskalationsszenario in Aussicht gestellt – und gleichzeitig die Verantwortung dafür auf die USA übertragen. Diese Technik ist typisch für das chinesische Eskalationsmanagement: Die eigentliche Konfrontation wird antizipiert, rhetorisch externalisiert und moralisch abgesichert. Der Tenor lautet: "Wenn wir zurückschlagen müssen, dann nur, weil ihr zuerst gehandelt habt."
Hinzu kommt die implizite Warnung, China hätte schon längst aus dem Phase-One-Abkommen aussteigen können – habe das aber bewusst nicht getan. Der Verweis auf das entsprechende Vertragsrecht (Artikel 7.4) ist keine juristische Spitzfindigkeit, sondern ein Signal: China besitzt Handlungsoptionen – verzichtet aber vorerst auf deren Nutzung.
Damit bereitet das Weißbuch die Grundlagen für eine fortgesetztes Eskalation vor. Sollte es zur nächsten Runde im Handelskrieg kommen, hat Peking mit diesem Text das moralische und kommunikative Fundament gelegt, um einen Rückschlag als "notwendige Verteidigung" zu framen. In diesem Sinne ist das Dokument ein Bestandteil der Spieltheorie der Konfrontation, kein Versuch der Deeskalation.
Der Zoll- und Handelsstreit zwischen den USA und China eskaliert weiter. Während Präsident Trump die Strafzölle gegen die meisten Länder vorerst ausgesetzt hat, wurden sie für China erneut erhöht. China auf der anderen Seite sendet keinerlei Zeichen des Entgegenkommens. Dieses Weißbuch liefert die Grundlage für eine weitere Eskalation und bietet zugleich eine strategische Kommunikationsarchitektur, mit der China seine Position rechtfertigen, begründen und international flankieren kann.
In den kommenden Tagen und Wochen werden sich viele Formulierungen, Denkfiguren und Begriffe aus diesem Papier in öffentlichen Stellungnahmen chinesischer Regierungsvertreter, in Beiträgen staatsnaher Medien, in diplomatischen Noten befreundeter Staaten wie Ungarn oder in Erklärungen von Ländern des Globalen Südens wiederfinden
Vor allem aber bereitet es die weitere Eskalation vor. China zeigt sich bereit, den Vereinigten Staaten Paroli zu bieten, und setzt zugleich darauf, sich als Speerspitze einer anti-amerikanischen Koalition zu positionieren – insbesondere mit Blick auf den Globalen Süden.